Dienstag, 13. September 2005

Brap!

Pottschrottdängeln 3: Der Dienstag danach

Drei Tage, das ist auch mir jetzt klar, so lange braucht man mindestens, um so einigermaßen wieder klar zu kommen, nach dem Erlebnis dieses außergewöhnlichen Klangraums in einer völlig abgehobeneren Landschaft. Und noch immer trifft mich im einen oder anderen Augenblick eine Aromawelle aus Kokereigas, was weiß ich woher.

Damit alle Leser, die selbst noch nicht dagewesen sind, hier schon mal ein paar Links mit Bildmaterial und sonstigen Informationen zur Kokerei Hansa.: Tja, selbst, wenn das Foto von der Wendeltreppe außen am Gasometer schon mal einen kleinen Eindruck von der schieren Größe dieses Klangtempels geben kann, kein Foto dieser Welt macht es dem begreifbar, der nicht selbst dagewesen ist.

Aber ich sollte am Anfang beginnen. Am Freitag nämlich, als es mir gelang, mich einigermaßen frühzeitig von meinem Job loszueisen, um mich ca. 1 1/2 Stunden später vor meiner Höhle in Bielefeld vor DyanGos inem gnadenlos vollgestopftem silberenen Kombi wiederzufinden und mich zu fragen, ob er entweder mich ODER meinen Rucksack mitnehmen kann. Irgendwie wurde dann doch Platz geschaffen, so daß player b, Elena, DyanGo und ich dem Glück entgegenrauschen konnten.
In Lärmbüchses Blutkorridor-Base angekommen, entspanntes Ballast abwerfen, hallonieren, Pebbles (die Vogelspinne) begrüßen und Kaffeevorrätekochen. Es folgte dann doch recht zügig der Aufbruch zum Gasometer, in der Hoffnung noch ein wenig Kameralicht zu haben. Natürlich habe ich in der Vorfreude die Kaffeekanne mit Lärmbüchses exorbitantem Ökocaf vergessen. Was soll's, das wichtigste, das Trommelwerkzeug, war dabei. Schon als zum ersten Mal am Horizont das graue Ungetüm an Blechdose auftauchte wußte ich ohne Hinweis, wohin wir rollen würden... Dennoch werde ich nicht Lärmbüchses Lächeln und das Leuchten in Ihren Augen vergessen, als sie mir an kl4ng's Seelenknochen vorbei ihre vielsagenden Blicke zuwarf.
Vollgepackt wie die Esel, Rucksack dabei und Didge geschultert krochen wir den steilen Hang unter den uns umarmen wollenden Dornenästen der meterhohen Büsche in Dornbrombeerchens Land. Wir überquerten die Straße über eine total zugewachsene Brücke im Sichtschutze der Pipelines, die es uns zu unserer Linken gleich taten. Zur anderen Seite flankiert von chaotischem Grün, daß den Sieg über die dort liegenden verrostenden Gleise davongetragen hatte traten wir unseren Marsch zum Kokereigelände über den Pfad aus zerbröselten Steinen an. Als der Weg sich öffnete und links von uns die Fabrikhallen mit dem schräg in die Höhe führenden Förderbandtunnel auftauchte und das abbröckelnde Braunrot der Backsteine einen großen Teil des Blickfeldes einzunehmen begann begann ich so langsam zu begreifen, wie klein sich der einzelne Arbeiter als Teil dieser gifitgen Maschine gefühlt haben muß. Große, zum Teil sogar noch saubere und heile Fenster blickten, wie die Augen eines Maschinengötzen auf die Anlage hinab, mit weit aufgerissenem, quadratischem Rachen nach Futter gierend. Eine endlose leuchtend rostige Stahlwand, zusammensgesetzt aus unzähligen Spalten mit Klappen, wurde durchbrochen von einem irrwitzig großen aufgeplatzen Betonbau, wie zerschossen von 2.Weltkriegs Haubitzen, der schräg auf seinen Trümmern liegend, offene Räume in den Himmel zeigend wie ein Tor in einen wasserlosen Hafen wirkte. Eine Rampe hinunter betraten wir die Ebene der Stahlbetonpflanzen, rote unwirkliche Knäuel in allen größen wuchsen zwischen hellgrauen Schutthalden und funktionsunklaren nietenbeschlagenen Tankteilen. Ein anderer Planet. Auf diesem Weg umkreisten wir die Kokerei zur Hälfte aus deren Deckung der Gasometer jetzt riesig zum Himmel aufragte. Von hier konnten wir bereits in die mehrere Stockwerke hohen, wilden Rohr-, Schornstein-, Stahltreppen-, Ventil-Konstruktionen der Anlage hineinblicken. Ein lecker Wasserschlauch erzeugte sirrend einen gelblichen Teich... ich mußte lauschen. In der Zeit bahnten sich die Ersten immer kleiner werdend bereits den Weg zum rechteckig geflexten, mit Sicherheit fünf Meter oder mehr hohen und breiten schwarzen Maul der Klangdose, bis sie wie Insekten von ihm verschluckt wurden.
Der Geruch... wurde immer stärker.
Mit Beben betrat ich die voluminöse Schuttrampe, die vor diesem Eingang aufgehäuft worden war und konnte bis zu dem Augenblick nichts vom Inneren erahnen, bis ich auf gleicher Höhe mit den Wänden angekommen war, von wo die Rampe in ähnlichem Winkel bis auf den mit grauem-rotem Schutt und schwarzem Staub bemalten Betonboden hinunter führte. Und dann blickte ich nach oben, in den Ring aus Fenstern in nicht erklärbarer Ferne in dem Dach des Doms. Das Wispern von fernen Worten und leise schabenden Schritten begann mich zu umfließen und ich fühlte die unbedingte Notwendigkeit den Ort mit einem Kniefall zu ehren. Ich fühlte mich klein und beschenkt. Weit vor mir lief Lärmbüchse ziellos in dem viellleicht 30 oder 40 Meter durchmessenden Kreis des Bodens herum. Als ich auf sie zu kam, war da wieder dieses Lächeln. Sie hatte etwas in der Hand, das sie auf mich zu trug und es mir mit den Worten entgegen hielt, ich solle es mal auf den Boden schlagen. Es war ein grauer mittelschwerer Backstein...

Ich legte mein Gepäck ab und realisierte meinen Ort als ein wenig versetzt von der Mitte des Kreises. Wieder blickte ich zur Decke und sah zum ersten mal den inneren Ring, mit den wie Sonnenstrahlen nach außen laufenden Trägern. In meiner rechten Hand wog ich den Backstein. Dann ging ich in die Knie und schlug den Stein aus der gleichen Bewegung flach auf den Boden.
Einen überraschend langen Sekundenbruchteil passierte nichts aussergewöhnliches, bis mich die erste Wellenfront von den Stahlwänden zurückgeworfen und gebündelt mit einem sonoren trockenen Wopp traf, gefolgt von leichtem an und abschwellendem Rauschen, wie eine Art "Plastikwind", dann ständig stärker werdend bis das Echo schlagartig wie plötzlich zerreißender Stoff oder ein Gewitterdonner genau von oben auf mich herab explodierte...

An dieser Stelle, weiß ich gar nicht mehr, was ich schreiben soll, wie ich den Klang dieses Raumes beschreiben soll. Die klatschenden, kreisenden Echos, die Steine hervorrufen, wenn man sie in flachen Winkeln an die Stückweise planen Wände, des sich nach oben leicht verjüngenden Körpers mit der Grundfläche eines gleichseitigen Polygons, wirft, so daß er nacheinander Funken schlagend an mehreren Wandteilen abprallt. Den unglaublichen Druck, den Astarielles Seelenknochen erzeugte, das Ende senkrecht nach oben wie auf einem Horn den Oberton gespielt, tief aus dem Bauch nach oben eine satte Energiekugel drei Meter über dem Boden gesammelt, die dann nach dem Absetzen mehr als 30 Sekunden lang, entlang der Dosenachse langsam auf und absteigend leiser wurde.
Soll ich erzählen, von den Rythmen, die immer jemand vorgab, mit Hölzern geschlagen auf den Stahlwänden, dem langen schwarzen Plastikrohr, den verrosteten Ablaßrohren, dem Stahlboden, dem Metallbock, der später das M in einem SMO-Foto wurde, den Trommeln und all dem herumliegenden Blech und Gestein. Zuerst player b, dann er und ich zusammen, später Dyango und Lärmbüchse oder jeder einzeln, während sich DyanGos Worte, verrückte Tierstimmen und Antworten im Raum in die Arme fielen?
Es ist besser, sie zu hören, die schamanistische Kollage am nächsten Tag erweitert durch Heiko und den Corezen.
Soll ich erzählen von hoffnungslosen Suchaktionen in der Dunkelheit nach einem gewissen Döschen und den tanzenden warmen Schatten der Öllampe im Zentrum, die die Strahlenförmigen vom Zentrum weglaufenden Schuttmulden vom flachen Boden abhob?

Soll ich erzählen, wie Elena und ich am Samstag verrückt (ich hab Höhenangst) nach einem Weg auf die freitragende Wendeltreppe suchten, um die Dose zu erklimmen? Aus dem unteren Stück war ein Teil herausgeschweißt worden, so daß die einzige Möglichkeit darin bestanden hätte, über das Dach des Aufzugshäuschens, das schräg und naß und glitschig war und nur mit einer halsbrecherischen Kletteraktion ohne Netz und doppelten Boden hätte überquert werden können, so daß wir dann doch die Schwänze einzogen und uns mit der Entdeckung der total bröseligen Aufzugskammer und der Motorenkammer zufriedengaben. Fotos gibt es davon nicht. Falls das Pottschrottdängeln 4 dort stattfinden sollte, muß die jemand nachholen.
Den Samstag verbrachte der player b fast vollständig abseits von uns auf Fotosafari zwischen den Bauten.
Als wir vom Gasometer schließlich Abschied nahmen, erwartete uns noch ein Streifzug quer durch die Ruine der Kokerei, wo wir vorbei an den letzten Ruhestätten stählerner Drachen, leuchtend orangen Rostrohren im Kontrast mit sie beleckendem Pflanzenrank die mittelalterlich wirkenden quadratischen Holztürme bewunderten. Am Ende durchquerten wir, dreckig aber glücklich, mit all unserem Kram bepackt eine wirklich merkwürdige Karawane abgebend am Hauptausgang des Museumsgeländes eine befremdet dreinschauende Gruppe von, wasweißich, Museumsbesuchern, Christliche Partei Mitgliedern, oder so? Verrückt...
Jetzt habe ich die gemütliche Atmosphäre des Abendbrotes nach unserer Rückkehr in die Lärmbüchse-Base am Freitag Abend ausgelassen, während wir standesgemäß den Soundtrophäen lauschten und player b's Fotos der vorherigen Sessions per Slideshow auf Lärmbüchses Ohne-Rot-Monitor ablaufen ließen. Nebenbei, ich weiß nicht, ob ich je so glücklich darüber gewesen bin, mir die Hände waschen zu können. Irgendwann fielen wir alle wie tote Käfer auf Matratzen und Iso-Matten, was player b, Lärmbüchse und mich nicht davon abhielt noch bis mindestens halb drei dummes Zeug zu quatschen.

Von Dortmund nach Bielefeld per Zug zurückgekehrt, entschieden Elena, player b und ich uns nach langem sinnlosen, aber sehr witzigem Plausch am Bahnhof dazu uns später noch zu in der Bender-Base zu treffen, um einen Film zum Abklang zu zelebrieren. Obwohl unsere Körper uns eigentlich in jeder Pore mitteilen wollten, daß wir uns gefälligt auf's Ohr legen sollten, fand ich mich irgendwann gegen Mitternacht endlich frisch geduscht in Elena's Twingo wieder... ich weiß nicht mehr, wie lange wir bei Ben gebraucht haben, den Film auszuwählen, aber es dauerte fast lange genug, um Elena bereits vorher einschlafen zu lassen.

Hab ich was vergessen? Ja, bestimmt vieles. Mal ganz davon abgesehen, daß ein Blickwinkel nicht ausreicht.

Wer bis jetzt noch nicht in der Klangdose war, soll sich möglichst bald organisieren und es wahr machen. Im Oktober soll das Ding aus unerfindlichen Gründen zerlegt werden.

SMO! Es lebe das Echo!
Lärmbüchse - 14. Sep, 12:01

HAAHHaahaaaaa...

Wunderschön mit Buchstaben gezeichnet...es bedarf keinem
weiteren Kommentar, außer schöööööön...chöööööön...höööön....öööön....ööön...ön...nnnnnnn. Ja, so war es....
CKresAIX - 14. Sep, 14:59

!!! BOAH !!!

boah!!! das hört sich megagenial an und ich dicker mann war nix dabei. hm, das nächste werde ich mir (hoffentlich) nicht entgehen lassen. und wound, ich sag nur: dein post ist vom feinsten und treibt mir echt die tränen in die augen nicht dabei gewesen zu sein...

in diesem sinne, gruss,

chris:)
Lärmbüchse - 15. Sep, 11:25

Vernichtung!

Hach, hier sin wohl die einzigen Leut vorhanden, denen ich meine Trauer mitteilen kann, ohne am folgenden Tag von herbeigerufenen weißen Männchen mit zweckentfremdeten Bondagejäckchen, in eine kostenlose neue Heimat verfrachtet zu werden. Seit einigen Tagen vernahm ich eine eigentlich nette industrielle Gerumpelkulisse mit quitschendem Stahl, gefallenen Rohren und zerberstendem Beton– ich fühlte mich wohl. Doch da hier keine Dängler ihrer Leidenschaft fröhnten, sondern Bauarbeiter unfreiwillig zu Zeremonienmeistern wurden, bringt dies eine spätere Lücke mit sich. Nun ist sie ersichtlich. Gestern wurde ein Großteil des kleinen Überrests an Industriehallen mit mächtich Geschepper abgerissen, die für die wunderbare Namensgebung meiner Straße verantwortlich waren. Das ehemalige Stahlwerk, wessen Brachland mit einem neuwachsenden idyllischen Birkenwäldchen aus meinem Küchenfenster zu erblicken war, ist nun Vergangenheit, eine einzige hübsch zerfallene Halle is noch da, aber auch die wird wohl der Gegenwart zum Opfer fallen. Ich will garnich wissen, was dort nun geplant ist, hoffentlich bleibt das schöne Wäldchen wenigstens noch ein Jahr erhalten. Und aus dem feinem Gelände der Phönixhallen, welche der Geburtssaal des Pottschrottdängeln waren, wird nun endgültig ein Spaßparadies mit Kunstsee - Stümper*schnief*
kl4ng - 18. Sep, 09:45

.............†...........

diese

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